Düsseldorf-Pempelfort. Schinkelstraße 50. Fountain Studio heißt die Design-Agentur, die ich heute besuche. Melanie Völl und Rolf Gerhards sind die beiden kreativen Design-Köpfe und Typografie-Expertinnen und -Experten des Studios. Sie erwarten mich an diesem Nachmittag in ihrem hellen und offenen Hinterhof-Loft mit wunderbar hohen Decken.
Typografie, eine der großen Leidenschaften der beiden, ist heute unser Thema. Begeistert spricht Rolf am Anfang unseres Gesprächs von der Zauberei der Typografie. Von dem großen Stellenwert, den Schrift in unserem Leben einnimmt und von der kulturhistorischen Bedeutung der geschriebenen Sprache. Ja, in der Tat, denke ich in diesem Moment: Wir nehmen Geschriebenes oft als so selbstverständlich wahr und denken wenig über Typografie nach. Jetzt mal ehrlich, haben Sie sich bis hierhin Gedanken über die Schrift dieses Textes gemacht? Ich vermute: nein. Lassen Sie uns diesem Phänomen gemeinsam auf den Grund gehen und mehr über Schrift, Design und Arbeitsprozesse erfahren.
Woher kommt das Wort Typografie eigentlich?
Ich möchte Sie zunächst kurz mit ein wenig Theorie vertraut machen: Das Wort Typografie selbst geht zurück auf die beweglichen Lettern des klassischen Druckens. Diese Lettern nannte man auch Typen. Heute steht der Begriff mehr für das gedruckte Schriftbild und für den gesamten Gestaltungsprozess, der durch Schrift, Linien, Flächen und typografischen Raum beeinflusst wird. „Schrift“, sagt Melanie, „ist für uns ein wichtiges Werkzeug und ein bedeutender Teil des gesamten Corporate Designs, das wir für unsere Kundinnen und Kunden entwickeln“. Schrift ist also ein Teil des gesamten Werkzeugkastens.
Zum weiteren Glossar gehörten etwa die Typometrie (die Abmessung von Schrift) oder die Ergonomie und Ökonomie (die Schriftlänge), erklärt mir Rolf. Unter Antiqua verstehe man eine Serifenschrift. Die wahrscheinlich bekannteste Antiqua sei die Times New Roman. Sie fragen sich jetzt, was eine Serife ist? Ganz einfach: Das ist die Linie, die einen Buchstabenstrich am Ende quer zu seiner Grundrichtung abschließt. So wie bei der Times New Roman eben. Die Grotesk wiederum ist eine Schrift ohne Serifen. Bekanntestes Beispiel ist die Helvetica. Es gibt ganze Schriftfamilien, die sich aus einzelnen Schnitten zusammensetzen. Etwa fette, halbfette oder dünne Schnitte.
Gute Typo: welche Kriterien sind wichtig?
Weiter aber zur praktischen Anwendung. Mich interessiert, wie Designerinnen und Designer mit Schrift umgehen. Es gebe typografische Regeln, die seit den 1920er Jahren festgelegt seien, erläutert mir Melanie. Einer der Vorreiter der Typografie sei Jan Tschichold gewesen. Ein Gestalter am Bauhaus. Diese typografischen Gestaltungsregeln, sagt Melanie, gäben eine gewisse Orientierung vor, um sinnvoll mit Textstrukturen umzugehen.
Dabei gelte es in der Praxis, diese Regeln einerseits zu beachten, sie an anderer Stelle aber auch mal zu brechen. Zu den Grundregeln gehörten zum Beispiel die Zeilenlängen (50-80 Zeichen Spaltenbreite), aber auch Zeichenabstände und Schriftgrößen. 120 Prozent der Schriftgröße sollte z.B. ein Zeilenabstand betragen. Abmessungen, Zwischenabstände und die einzelnen Schriftformen seien ebenfalls wichtig.
Und dann komme noch eine Prise Psychologie dazu, ergänzt Rolf: Standards, die uns bekannt seien, nähmen wir als leichter lesbar wahr. Das sei reine Gewohnheit. Denken Sie mal an die gute alte Times New Roman. Vertraute Schrift. Vermeintlich gute Lesbarkeit. Diese habe aber vielmehr mit der Schwarz-Weiß-Raum Abstimmung zu tun. Es sei also die Aufgabe der Designerteams, Schrift und Weiß-Raum so zu gestalten, dass wir sie als gut lesbar wahrnähmen. Dann erübrige sich auch die alte Diskussion über die Lesbarkeit einer Schrift, ist sich Rolf sicher.
Woher kommen die Schriften eigentlich?
Ich frage mich, wo diese Vielzahl an Schriften eigentlich entstehen und wer sie entwickelt? Rolfs Antwort: überall und weltweit entstünden ständig viele neue Schriften durch sogenannte Type Designer. Wenn es um Schriftgestaltung geht, dann schwört Rolf auf unsere niederländischen Nachbarn. Die Holländerinnen und Holländer seien sehr gut in der Schriftgestaltung, berichtet er. Seit 20 Jahren gäbe es bei unseren Nachbarn eigene Studiengänge zur Typografie. Und das mache sich in der Gestaltungsqualität, der Kreativität und Vielfalt absolut positiv bemerkbar.
Welche Maßnahmen ergreift ihr, um eine passende Typo auszuwählen?
Designerinnen und Designer wie Melanie und Rolf kreieren für ihre Kundinnen und Kunden individuelle und unverwechselbare Markenauftritte. Wie sie konkret arbeiten, möchte ich von den beiden wissen. Melanie schildert mir in vier groben Schritten, wie sie vorgehen:
1 In einem Workshop lernen sie zunächst die Menschen des Unternehmens kennen und erarbeiten gemeinsam mit ihnen die besonderen Charakter- und Markeneigenschaften des Unternehmens. Wofür steht die Organisation? Welche Attribute können den Menschen und dem Unternehmen zugeteilt werden? Sind sie weich oder hart, transparent oder verdeckt, modern oder traditionell? Eine Art visuelle Unternehmensanalyse mit dem Ziel, u.a. die passende Schrift zu finden. Denn so, wie jedes Unternehmen einzigartig ist, so hat auch jede Schrift ihren eigenen Charakter: im Fachjargon Type Face genannt. Als weiblich und zugleich sachlich wird z.B. die Schrift Vesta klassifiziert. Für die Landesgartenschau nutzten Rolf und Melanie die Corisande (modern & friendly style). Das Nutzen mehrerer Schriften wiederum ist die Übersetzung für Vielfalt.
2 In einem zweiten Schritt ermittelt das Designer-Duo Status Quo und Ziel der Auftraggeberschaft: Wo möchte das Unternehmen hin? Wie wollen die Kundin oder der Kunde wirken? Decken sich Status Quo und Ziel nicht, dann haken die beiden Gestalter nach, um weitere Informationen zu erhalten. Denn es gebe immer einen Grund, warum etwas anders werden soll, weiß Rolf.
3 Diese ermittelten Werte und Ziele übersetzen Rolf und Melanie dann in erste Gestaltungssysteme, die sie für die unterschiedlichen Medien der Kundschaft anpassen. Dazu zählen etwa Briefbogen, Visitenkarten oder Broschüren. Das Gestaltungssystem der Typografie muss für alle Medien passen: vom Plakat bis zum Buch. Das Designer-Team berücksichtigt dabei auch die verschiedenen Lesearten, etwa die eines Nachschlagewerks, eines Magazins oder einer Buchpublikation.
In der Praxis sei es zudem ganz wichtig zu überprüfen, wie viele Zeichen eine neue Schrift habe, erklärt Rolf weiter. Wie es etwa mit Tabellenziffern aussehe und ob es ausländische Schriftzeichen wie z.B. die kyrillische Schrift gebe. Ob sie für die Online-Nutzung ausgelegt sei und es sogenannte Webfonts gebe.
4 Wenn Rolf und Melanie die neue Unternehmenstypografie ihren Kundinnen und Kunden vorstellen, schwören sie auf folgendes Prinzip: „Wir greifen einzelne Buchstaben heraus und stellen diese exemplarisch vor“, erklärt Melanie. „Nach dem Motto: Gib mir ein T. Gib mir ein Y. Gib mir ein P“. Vorteil dieses Prinzips sei, dass sie anhand eines einzelnen Buchstaben der ausgewählten Schrift deren Charakter viel besser und nachvollziehbarer beschreiben könnten. Und auch für die Kundenseite habe sich dieses Prinzip der Reduktion erfolgreich bewährt.
Was ist eure Lieblingstypo?
Eine letzte Frage brennt mir natürlich noch unter den Nägeln: die nach der Lieblingstypo der beiden. Ganz klar, sagen sie: die Nitti Grotesk von Bold Monday. Sie sei nicht verspielt, aber man könne mit ihr spielen, schwärmen Rolf und Melanie. „Und, sie hat Charakter, steht für handwerkliche Attribute und es gibt eine kaufmännische Null“, das ist vor allem Rolf wichtig.
Noch ein Selfie vor dem eigenen Logo der Nitti Grotesk und dann ist es Zeit, mich zu verabschieden. Was sich für mich nach unserem Gespräch verändert hat? Ich schaue nun genauer hin und nehme Typografie in meiner Umwelt stärker wahr. Als Leuchtreklame, Plakat oder Werbeschild, als Buch, Broschüre, Magazin oder Webauftritt. Vielen Dank, Rolf Gerhards und Melanie Völl, dass ihr mir die Augen geöffnet habt. Ich hoffe, Ihnen wird es ebenso gehen!
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Rolf Gerhards ist Diplom Designer und hat an der Peter Behrens School of Applied Sciences im Fachbereich Design studiert. Damals noch FH Düsseldorf, war sie ein Treffpunkt für Typo-Nerds (wie sich Rolf schmunzelnd erinnert), wo Typografie eine wichtige Rolle spielte und Dozenten das Thema spannend vermittelt hätten.
In ihrer Ausbildung war Schriftenlehre ein eigenes Fach erinnert sich auch Melanie Völl, die später an der Privatuniversität IFAG in Köln studierte und ihre Schwerpunkte neben der Typografie um den Bereich Fotografie ergänzte.
Sie möchten Beispiele sehen? Dann schauen Sie doch auch hier weiter: fountainstudio.de